Link 10 -Test Allgemeine Schuldnerberatung (asb): Leben mit dem Mindestbetrag

Die soziale Hängematte“ als Selbstversuch

Salzburg: Im Selbstversuch testeten freiwillige TeilnehmerInnen einen Monat lang, wie es ihnen dabei geht, wenn sie mit dem niedrigen Einkommen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung das Auslangen finden müssen.

Im September 2010 hat auch in Salzburg die bedarfsorientierte Mindestsicherung die Sozialhilfe ersetzt. Was aber heißt es für einen Menschen, mit 752,49 Euro den Alltag bewältigen zu müssen? Dieser Frage wollte sich die Schuldenberatung Salzburg mit ihrem Projekt „Die soziale Hängematte – das Leben schaukeln?“ annähern. Gibt es ein Auskommen mit diesem Einkommen?

Der Verlust der Freiheit sei für sie das größte Problem gewesen, resümiert Christine Bliem, Teilnehmerin des Selbstversuchs: 1 Monat lang Leben auf Mindestsicherungsniveau. „Mir war sogar die Freiheit genommen ,Nein‘ zu sagen“, meint sie. Zwar kämen Kino-Besuch oder ein Abend in Restaurant bei Familie Bliem ohnehin nicht oft vor, aber mit 400 Euro Monatsbudget ist selbst die Option auf soziale und
kulturelle Teilhabe schwierig einzulösen – und Einladungen von FreundInnen müssen ausgeschlagen werden.

„Die soziale Hängematte“ war als Selbstversuch angelegt. Es wurden Interessierte gesucht, die 4 Wochen lang ihren Alltag mit dem Geld bestreiten, das nach Abzug von Fixkosten wie Wohnung, Auto und Versicherungen von der Mindestsicherung übrig bleibt.

Die erste Herausforderung des Projektteams war es, diesen Betrag zu errechnen, sodass er einerseits die finanzielle Realität von MindestsicherungsbezieherInnen möglichst abbildet, andererseits interessierten Personen die Teilnahme auch ermöglicht. Denn eine radikale Simulation hätte bedeutet, für einen Monat den
Job aufzugeben, die Wohnung zu verlassen, diverse Verträge zu kündigen – was von den TeilnehmerInnen (und ihren Familien) kaum verlangt werden konnte. Deshalb wurden folgende Regeln aufgestellt:
*) Fixkosten wie Wohnung, Kleidung, Möbel, Versicherungen, Mobilität, Sparformen, rezeptpflichtige Medikamente wurden pauschaliert und aus der Berechnung ausgeklammert: übrig blieben 400 Euro (für Berufstätige).
*) Von diesen 400 Euro mussten alle verbleibenden Ausgaben getätigt werden: Ernährung und Verpflegung, Einladungen, Telefon, Internet, Hygiene, Zigarette, Freizeitaktivitäten, Kultur, Geschenke etc
*) Zur Abgrenzung musste außerdem der Bestand im Kühlschrank, bei Toiletteartikeln u.ä. erfasst werden.

15 TeilnehmerInnen

Rund 250 Einladungen zum Selbstversuch an lokale PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen hat die Schuldenberatung Salzburg verschickt, aber das Interesse war zunächst gering. Deshalb wurde Anfang Mai zusätzlich ein Aufruf in den „Salzburger Nachrichten“ untergebracht, woraufhin sich 15 TeilnehmerInnen
fanden. Sieben Personen waren auch bereit, medial in Erscheinung zu treten: zwei Salzburger GemeinderätInnen (FPÖ und Bürgerliste), zwei SchuldenberaterInnen, zwei Selbstständige und eine Pensionistin. Weitere acht Personen nahmen anonym teil.

Derstandard.at, der Online-Auftritt der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, begleitete das Projekt ab dem Startschuss am 20. Mai 2011: Nach einem Auftaktartikel gab es wöchentliche Berichte der TeilnehmerInnen zu lesen, in denen sie ihre Erfahrungen schilderten. Auch „Salzburger Nachrichten“-Redakteur Stefan Veigl, beteiligte sich für 1 Woche an dem Selbstversuch und berichtete darüber.

Emotionale Reaktionen

Ein wichtiges Ziel des Projektes war es, die Lebensrealitäten von MindestsicherungsbezieherInnen und damit auch vieler KlientInnen der Schuldenberatungen öffentlich zu machen, eine Diskussion über soziale Mindeststandards in Gang zu bringen. Das mediale Echo war groß, lokale Medien in Salzburg nahmen das Thema mehrmals auf und durch die Erfahrungsberichte auf derstandard.at konnten den Selbstversuch
Menschen in ganz Österreich mitverfolgen. Gemessen an der Anzahl der Postings (über 2.000) zu den online-Artikeln erregte das Projekt sogar ziemlich großes Aufsehen.

Parallel zur Berichterstattung in den Medien

erreichten die Schuldenberatung Salzburg teils heftige und emotionale Reaktionen, in Form von Telefonanrufen, E-Mails und vor allem über Posting-Einträge auf derstandard.at. Manche Menschen haben den Zweck des Selbstversuchs durch den provokanten Titel („Soziale Hängematte“) missverstanden, andere empfanden den Selbstversuch als unzulässige Simulation von Armut. Auch erreichten die Schuldenberatung zahlreiche Wortmeldungen von Menschen, die offenbar mit weit weniger als diesen 400 Euro auskommen müssen. Sie leben unter den Mindeststandards, weil der Gang zum Sozialamt aus Scham oder anderen Gründen eine zu große Hürde darstellt.

Aufgrund der aufgewühlten Stimmung unter den PosterInnen ist auf einen abschließenden Erfahrungsbericht auf derstandard.at verzichtet worden. Im Mittelpunkt stand stattdessen die Frage, ob die Simulation von Armut überhaupt zulässig sei.

Thomas Jedlizka, Schuldenberater und Teilnehmer am Selbstversuch, resümiert: „Eine ungefähre Annäherung hinsichtlich des rein finanziellen Aspekts von Armut ist möglich. Andere Aspekte hingegen können im Versuch nicht einmal annähernd nachempfunden werden. Nach oft langem Kampf gegen den sozialen Abstieg sind betroffene Menschen psychisch und physisch schwer angeschlagen – das kann man
nicht nachahmen.“

Fazit

Von den sieben nicht anonym gebliebenen TeilnehmerInnen hatten alle mehr oder weniger große Schwierigkeiten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln auszukommen. Vier Personen schafften das, eine Person konnte die Ausgaben in diesem einen Monat sogar unter dem verfügbaren Betrag halten. Drei Personen kamen nur ganz knapp aus und weitere drei überhaupt nicht.

Alle TeilnehmerInnen waren sich einig, dass ein Auskommen mit den verfügbaren 400 Euro nur mit viel Verzicht und Selbstdisziplin zu schaffen war – eine Situation, die über ein Monat lang noch gut zu verkraften ist, aber ein ganzes Leben lang auf diesem Niveau zu (über)leben ist für viele Menschen kaum vorstellbar.

Quelle: http://www.schuldenberatung.at/­fachpublikum/news/2011/11/­budget67.php