Link 32 – Die verlorene Ehre der österreichischen Justiz

Immer mehr mehr Bürger haben das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Handelt es sich um ein Don-Quijote-Syndrom? Oder hat das Ganze doch System?

20.06.2014 | 18:36 | ANNELIESE ROHRER (Die Presse)

Da war sie wieder vor ein paar Wochen nach einem Vortrag in Krems, diese Unsicherheit: Geht es bei der Geschichte, die ein Mann hier erzählt, um die Details eines verbohrten Bürgers oder um die verzweifelte Hilflosigkeit angesichts einer Seilschaft von Polizei, Politik und Justiz? In den nachgereichten Unterlagen geht es um Grundstückskäufe, behördliche Schikanen, nicht angenommene Klagen, nicht zugelassene Beweismittel, eigenartige Vorgänge im Justizapparat, Briefe an das Justizministerium.

Wieso Unsicherheit? Wieso wieder? Weil sich Szenen wie jene in Niederösterreich seit ein paar Wochen immer wieder abspielen. Bei jeder Diskussion, bei jedem Vortrag, am Telefon, per E-Mails melden sich Bürger mit ihren Klagen über die Justiz. Die Einschätzung, ob es sich um Querulanten oder um tatsächlich von der Justiz Im-Stich-Gelassene handelt, ist schwierig. Schließlich will sich niemand instrumentalisieren lassen.

Eine sichere Erkenntnis aber ergibt sich daraus, die sich schon während der monatlichen Wut/Mutbürger-Treffen in der Bundeshauptstadt vor zwei Jahren gefestigt hat: Das Vertrauen in die Justiz ist erschreckend gering. Die Menschen rennen oft von einer Stelle zur anderen und finden sich vor einer Wand der Gleichgültigkeit, der behördlichen Arbeitsvermeidung und des Verschleppens wieder. Wir reden hier nicht von Bürgern, die sich teure Anwälte leisten können.

Ist das Vertrauen eines Karl-Heinz Grasser in die österreichische Justiz erschüttert, ist das eine Sache. Auch ihm steht eine Schutzbehauptung zu. Er hat genügend Öffentlichkeit. Wenn aber der „kleine Mann“ mit seinen „kleinen Fällen“ (Frauen selbstverständlich eingeschlossen) die Zuversicht verliert, dass in der Justiz alles mit rechten Dingen zugeht, wenn dort Fehler einfach vertuscht werden, dann trifft das den Kern der Gewaltenteilung und somit der Demokratie.

Denn entscheidend ist das subjektive Empfinden, Opfer eines undurchsichtigen Zusammenspiels verschiedener Institutionen und ihrer Vertreter zu sein. Wenn der Objektivität der Rechtssprechung nicht mehr zu vertrauen ist, wem dann?

Das kann alles kein Zufall sein: Der oben erwähnte Niederösterreicher wurde am 5. Juni wegen Stalkings eines Bürgermeisters und des Landesgerichtspräsidenten zu neun Monaten Haft verurteilt, drei Monate davon unbedingt. Der ganze Fall ist akribisch auf der Website Saubere Hände, des Vereins zur Unterstützung schikanierter Personen dargestellt – wie andere Fälle auch.

Zur gleichen Zeit ein Anruf aus Vorarlberg. Dort kämpft Elmar Battlogg seit 16 Jahren darum, das Landeskrankenhaus Feldkirch wegen einer Operation nach Angaben falscher Informationen (neue Lasermethode, obwohl gar kein Laser vorhanden) zur Rechenschaft zu ziehen. Battlogg ist seither in Frühpension. Und wieder die Geschichte von Amtsmissbrauch, von nicht angenommenen Beweismitteln, von einem Zusammenspiel verschiedener Behörden zum Nachteil des Bürgers.

Sodann jüngst der Fall des Journalisten Stephan Templ, der in einer Restitutionssache von der Republik verklagt und nun zu drei Jahren Haft, davon ein Jahr unbedingt, verurteilt worden ist, obwohl der Republik selbst kein Schaden entstanden ist.

Vielleicht ist nicht nur das System des Strafvollzugs „krank“, vielleicht wurde nicht nur dieser Teil der Justiz „vernachlässigt“, wie Justizminister Wolfgang Brandstetter in der ORF-„Pressestunde“ meinte. Schön wäre, wenn er sein Versprechen, er habe „so zu agieren, dass das Vertrauen in die Justiz gestärkt wird“, weiter fasst und nicht nur auf das Weisungsrecht und seine Befangenheit in Fällen aus früheren Tätigkeiten bezieht, sondern sich auch um Kompetenz und Unangreifbarkeit im Justizapparat kümmert. Dann könnte er – trotz Hypo-Sondergesetz – ein wirklich guter Minister werden. Mit dem Begriff Gefahr in Verzug weiß er sicher etwas anzufangen.

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(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.06.2014)